Wie ein kleines Video die mächtigen Medien besiegte

Die Zahl 2 im Namen der Bewegung #YoSoy132 steht symbolisch für jeden, der sich nach diesem Video der 131 Studenten der Bewegung angeschlossen hat. Foto: Jen Wilton/Flickr; Lizenz: CC-BY-NC

19. Dezember 2012
Gabriel Medina
Die Jugendbewegung #YoSoy132 hatte sich mit einer Kraft ausgebreitet und mobilisiert, die das ganze Land überrascht hatte. Sie entstand innerhalb kürzester Zeit in der Phase der Präsidentschaftswahl an der Universidad Iberoamericana und breitete sich mit rasanter Geschwindigkeit über das ganze Land aus. Sie richtete sich vor allem gegen den Kandidaten der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI), Enrique Peña Nieto, und gegen die Berichterstattung über ihn in den Medien. Zwischen dem 11. und 23. Mai 2012 nahm der Studentenprotest  explosionsartig zu und steigerte sich bis zu den Wahlen am 1. Juli. Laut Informationen der Regierung von  Mexiko-Stadt gingen allein in der Hauptstadt 46 000 junge Leute auf die Straße. Und etwa genauso viele  Jugendliche waren es in Guadalajara, Monterrey, Tijuana, Puebla, Veracruz und anderen mexikanischen Städten.

Zweifellos war der Erfolg dieser Bewegung – die schnelle Organisation und Mobilisierung – auf die sozialen  Netzwerke wie Twitter und Facebook zurückzuführen. Vor allem halfen sie, die Desinformationskampagne der wichtigsten mexikanischen Fernsehsender und anderer Medienketten zu enttarnen. Der Hintergrund: Studenten der Universidad Iberoamericana hatten den Kandidaten Peña Nieto bei einer Wahlkampfveranstaltung  herausgeworfen. Die offiziellen Medien behaupteten daraufhin, dort seien gar keine Studenten gewesen, es habe sich um eine Inszenierung universitätsferner politischer Agitatoren gehandelt.

Daraufhin drehten 131 Studierende der Iberoamericana ein kurzes Amateurvideo von elf Minuten Länge mit dem Titel → « 131Studenten der Ibero geben Antwort ». Darin stellten sie sich als Studentinnen und Studenten besagter Universität vor, zeigten ihre  Studentenausweise, nannten ihren Namen und ihre Immatrikulationsnummer und widerlegten die Mär, «angekarrt» worden zu sein. In Windeseile verbreitete sich dieses kleine Video über die sozialen Netze, und es gelang den Studenten, die von der PRI und der Medienindustrie inszenierte Operation zu konterkarieren. Die Empörung im Land schlug sich in einer explosionsartigen Ausbreitung des Protestes nieder.

Soziale Netzwerke: Weg zur Einmischung und Stärkung eines Zugehörigkeitsgefühls

Bis dato war die Politik den politischen Parteien sowie den Regierungsbehörden und -institutionen vorbehalten.  Zum ersten Mal in der politischen Geschichte Mexikos hatten junge Männer und Frauen aus unterschiedlichen sozialen Schichten das Recht eingefordert, an den Entscheidungen beteiligt zu werden. Die sozialen Netzwerke haben ihnen einen Weg geebnet, sich einzumischen. Und sie haben das Zugehörigkeitsgefühl zu einer politischen Gemeinschaft junger Leute beiderlei Geschlechts gestärkt, die sich untereinander nicht kannten und doch geeint waren – geeint in der Aktion, die Mobilisierungsaufrufe, Verlautbarungen und Nachrichten der Bewegung  #YoSoy132 immer wieder neu zu posten.

Mit dem Sieg von Enrique Peña Nieto ist es gut möglich, dass die PRI die politische Praxis wieder aufnimmt, die sie bereits 70 Jahre lang ausübte: die politische Dissidenz einzuverleiben und/oder zu unterdrücken. Das wird die Bewegung noch vor große Herausforderungen stellen. Sie muss sich noch mehr ausweiten und eine starke horizontale Organisation schaffen, mit jungen Leuten, die aus unterschiedlichen Sozialschichten kommen.

Je mehr die Bewegung aber zusammenwächst, desto wahrscheinlicher wird es, dass sie darauf drängt, das  Institutionenwesen des Landes zu verändern und die in der politischen Kultur der mexikanischen Gesellschaft  vorherrschende Korruption auszumerzen. Einige gesellschaftliche Gruppen sehen bereits jetzt in der Leidenschaft und Einsatzbereitschaft, mit der diese jungen Leute für ihre Ziele kämpfen, den Keim einer politischen Zukunft – verknüpft mit der Hoffnung, Schranken setzen zu können und einen Wandel herbeizuführen.


.....
Gabriel Medina ist Forschungsdozent an der Universidad Autónoma in Mexiko-City und Sekretär
für Organisationsfragen des Iberoamerikanischen Beirats für Jugendforschung. Über die Situation Jugendlicher in Mexiko hat er verschiedene Texte veröffentlicht und Vorträge in mehreren Ländern Lateinamerikas gehalten.

Die Zahl 2 im Namen der Bewegung #YoSoy132 steht symbolisch für jeden, der sich nach diesem Video der 131 Studenten der Bewegung angeschlossen hat.
 

Video

131 Alumnos de la Ibero responden

Magazin

Böll.Thema 3/2012: Grenzenlos vernetzt

Dieser Artikel ist Teil von Böll.Thema 3/2012 "Grenzenlos vernetzt - Chancen und Risiken für die Demokratie". Wie bereits im Heft 2/2012 geht es um digitale Demokratie, diesmal erweitert um die internationale Perspektive. Einige Beiträge gehen der Frage nach, inwiefern das Netz zur Demokratisierung und Teilhabe beitragen kann. Mit Beiträgen u.a. von Evgeny Morozov, Kirsten Fiedler, Markus Beckedahl, Katrin Zinoun, Markus Reuter, Anne Roth, Falk Lüke, Ute Straub, Jeppe Rasmussen, Malte Spitz, Marisa Elisa Schlacher und Robin Geiß.